Personen:
Sprecher
Sprecherin
Musik (eingesetzt nach Gefühl und Wellenschlag)
Future Sounds of London: 'Lifeforms'
Sprecher: Jeder kennt die Argumente der gängigen Sozialkritik an computergestützter Kommunikation, aber man wiederholt sie nicht mangels Phantasie. Sonder, weil sie bei aller Langeweile noch immer gelten. Das permanente Hocken vor dem Bildschirm führt in einen Teufelskreis. Aus Einsamkeit logged man sich ein und ist man erst im Cyberspace verschwunden, vernachlässigt man auch seine letzten sozialen Kontakte. Man wird noch einsamer und verbringt noch mehr Zeit vor dem Monitor.
Sprecherin: Weil man im Cyberspace etwas findet, das es in der Realität kaum noch gibt.
Freunde, Bekannte, Nachbarn, mit denen man sich unterhalten kann. Denn dort schenkt
man sich noch gegenseitig Aufmerksamkeit, geht aufeinander ein. Kurz: Man kommuniziert
noch miteinander. Nicht umsonst spricht man von einer virtuellen Gemeinschaft, die so
eng ist, daß der Cyberspace zum Dorf wird.
Der Informatiker Professor Herbert Kubiceck von der Universität Bremen:
(Kubiceck/I.483): Die Wissenschaftler, die auf einem bestimmten Thema arbeiten. Für die
ist die Welt heute ein globales Dorf. Aber das Dorf nicht in dem Sinne in seiner Totalität,
daß sozusagen das ganze Leben aller Menschen in allen Lebensbereichen umfaßte, sondern
virtuelle communities of interesst. Die haben wir in einer Reihe von Themen. ... Da entstehen
sozusagen ganz viele Dörfer.
Sprecher: Die mit dem Globalen Dorf verknüpften Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Daß
via sozialer Kontrolle und politischer Einflußnahme sich die informierte Bevölkerung aktiv
am öffentlichen Leben beteiligt. Und zum Beispiel Kriege wie den 1990 am Golf verhindert.
Haben die Demonstrationen etwas genutzt? Das Rufen: Kein Blut für Öl?
Bei genauer Betrachtung läßt sich sagen, daß erst die enge, geschlossene Gemeinschaft des
Globalen Dorfes, das ja nicht erst durch die Vernetzung der Computer entstanden ist, solche
Kriege ermöglichte. Der Medienwissenschaftler Professor Friedrich Kittler von der
Humboldt-Universität, Berlin über das globale Dorf:
(Kittler/II.256): Aber das ist nicht erst mit den Netzen passiert. Das war McLuhans große
These, daß die Elektrifizierung und vor allem die drahtlose Elektrifizierung die Welt zum
Dorf gemacht hat. Und es ist ja kein Problem historisch nachzuweisen, daß zunächst mal
die Verkabelung der Meere in der 2. Hälfte des 19. Jrhd. und dann die Funkverbindung
interkontinetaler Natur in diesem Jahrhundert überhaupt erst den Raum der Weltpolitik
im strengen Sinne eingeräumt haben. Also Imperialismus, Kolonialismus, Weltkriege,
Welthandel - Das wäre ja alles ohne die Elektrizität mit ihrer unüberbotenen Geschwindigkeit
nicht möglich gewesen.
Sprecherin: Zumindest hätte im Golfkrieg die Zensur amerikanischer Militärs und die
Desinformationspolitik des Fernsehsenders CNN unterlaufen werden können. Beim
versuchten Staatsstreich in Moskau 1992 jedenfalls leitete die Association for Progessive
Communications - das ist ein Zusammenschluß verschiedener Computernetze zu Themen
wie Frieden, Ökologie und so weiter - leitete die APC Nachrichten aus Moskau nicht über die
ständig besetzten und permanent kontrollierten direkten Auslandsverbindungen des
Telefonnetzes, sondern auf verschlungenen Pfaden der Inlandsleitungen erst nach Petersburg,
dann in die baltischen Staaten und von dort über Schweden nach London. Diese Verbindungen
kamen nur zu Stande, weil die Mitglieder der APC, die sich zwar nicht gesehen hatten, eine
feste, virtuelle Gemeinschaft bildeten.
Heute kann man noch leichter Nachrichten aus Krisengebieten schicken. Jemand mit Funktelefon
berichtet über Satellit einem anderen mit Computer und Modem. Und innerhalb von Minuten sind
die Augenzeugenberichte in aller Welt. Selbst aus dem von Serben eingekesselten Sarajewo
konnten Menschen direkt und unmittelbar über ihre Lage berichten.
Über den Datenhighway durch den Cyberspace nehmen Menschen Kontakt miteinander auf.
Denn im Cyberspace gibt es keine Grenzen, keine Kriege, nicht einmal mehr nationale Interessen.
Weil im Cyberspace eine Kommunikation zwischen einzelnen, gleichen und freien Menschen stattfindet.
Sprecher: Cyberspace. An sich eine vollkommen unpassende Bezeichnung für etwas, das sich auftut,
wenn man Computer vernetzt. Selbst für die Kulturwissenschaftlerin und Koautorin dieser Sendung,
Anke Bahl, ist der Begriff Cyberspace nur eine gedankliche Krücke.
(Bahl/329) Cyberspace
Das Wort kommt von dem Buch von Wiliam Gibson Neuromancer und ist eigentlich meiner Ansicht
nach nicht ganz passend, weil Space ja so was hervorruft wie die Vorstellung von einem Raum.
Und das ist ja kein Raum ... wie wir uns den vorstellen. Sondern ja es ist etwas neues, wofür uns
die Worte fehlen. Und bisher ist haben wir noch nichts besseres gefunden würde ich sagen als
Cyberspace aber genaueres kann ich glaub ich nicht dazu sagen.
Sprecherin: Ein Grund spricht für die Vorstellung einer Begegnung im virtuellen Raum, dem
Cyberspace eben. Die Stadt bietet den Menschen drei wesentliche Arten von Räumen: Den
Arbeitsplatz, das zu Hause und solche Räume, in denen man sich wegen der Geselligkeit aufhält.
Doch gerade diese Räume der Geselligkeit verschwinden. Eck-Kneipen, Tante Emma Läden,
Friseure - Bis hin zu simplen Parkbänken aus Holz, die durch gestylte Plastiksitzschalen ersetzt
wurden, auf die sich niemand mehr setzt, weil man sich niemandem mehr zuwenden, mit niemandem
mehr ins Gespräch kommen kann.
Selbst die Gemüse- Käse- und Wursttheken in mittelgroßen Supermärkten wurden nicht allein
deshalb eingerichtet, weil die Kunden frische Ware verlangten. Sondern weil die Menschen
zwanglos miteinander reden wollten.
Der Cyberspace entwickelt sich zu einem der informellen Räume, in denen die Menschen
Gemeinschaften wiederaufbauen, die mit den Tante Emma Läden, Friseuren und Eck-Kneipen
verlorengingen.
Sprecher: Vielleicht ist der Cyberspace aber auch der falsche Raum, um nach der Wiedergeburt von Gemeinschaft zu suchen. Er hält keine Geselligkeit bereit, keine reale, das heißt: körperliche Begegnung. Sondern nur eine Stimulierung wirklicher Leidenschaften und wahren Engagements, die über Computerkommunikation aber nicht befriedigt werden kann.
Sprecherin: Die Menschen im Cyberspace können sich nur schreiben. Emails versenden,
in Diskussionsforen sebst zu den abseitigsten Themen Mitteilungen austauschen, in MUDs ihrer
Phantasie freien Lauf geben. MUD steht für Multi User Dungeon, in Anlehnung an amerikanische
Fantasy Rollenspiel wie 'Dungeons and Dragons' oder hierzulande 'Das schwarze Auge'. Sie
erwecken Welten, die denen von Tolkiens kleinem Hobbit und dem Herren der Ringe nahestehen
und deren Entwicklung ganz in den auf den Tastaturen liegenden Händen der Mitspieler ruht
- in der Kreativität der Mitspieler aus aller Welt.
Neue Mitspieler wählen einen Phantasienamen, eine Rasse wie Elf, Mensch, Halbling und einige
andere Charakteristika freier Wahl wie zum Beispiel grüne Augen oder forsches Auftreten.
Auf dem Weg zur Unsterblichkeit, dem Ziel des Spiels gilt es, Erfahrungs- und Abenteuerpunkte
zu sammeln, mit dem richtigen Zauberspruch einen Dämon zu bannen, einen Schatz zu finden
oder eine Prinzessin zu befreien. Auf einem Nebenkanal kann man sich privat und persönlich
unterhalten. Als Uwe Springfeld oder Anke Bahl.
(Bahl/III.373) Es gibt In-Charakter - Da spielt man diese Handlung. Und Out of Charakter.
Da kommentiert man, was da unten passiert. Das ist so ein bißchen wie Schauspieler und Figur,
die man darstellen muß. D.h. die Schauspieler untereinander können auch über ihre Rollen,
die sie verkörpern, sich unterhalten, und auch darüber flachsen, was auf der Bühne passiert.
(378) Während sie selbst auf der Bühne ihre Charaktere als Marionetten bewegen. Und da ist es schon
so, daß es besondere Kanäle gibt, wo sie gemeinsam darüber lachen, daß jetzt unten gerade das
Chaos abgeht sozusagen.
Sprecherin: Man kommuniziert direkt. Die Nachricht erscheint im selben Augenblick des Schreibens
auf dem Bildschirm der Mitspieler und erinnert weniger an einen Brief als an ein Telefongespräch.
Diese Art Dialog gibt der geschriebenen Sprache einen eigenen Charakter. Doktor Sabine Helmers
ist Ethnologin in der Projektgruppe Kulturraum Internet am Wissenschaftszentrum für
Sozialforschung, Berlin.
(Helmers/I.312) Der Umgang mit Sprache ist eben dadurch geprägt, daß die Sprache keine
Wortsprache ist, sondern eine reine Schriftsprache, die aber trotzdem sehr gesprochen klingt,
wenn man das liest - Also ist nicht so förmlich formell wie das, wie die Schriftsprache
normaler Weise in allen Ländern sich von der gesprochenen Sprache unterscheidet - zum anderen
gibt es viele Abkürzungen, die man als Außenstehender auch nicht sofort erkennt - Mittlerweile
sehr bekannt geworden sind die sogenannten Smilies, die durch Zeichen, durch Ascii Zeichen auf
der Tastatur erzeugt werden können und z.B. Doppelpunkt, Minus, Klammer zu ist eben ein
lachendes Gesicht. Oder Abkürzungen für größere Worte wie z.B. Verabschiedungsformel see
you, also sehe dich, wird abgekürzt durch den Buchstaben c und den Buchstaben u. See you later
kann man dann wieder abkürzen c u l acht er.
Sprecher: Trotzdem ist der Kontakt im Cyberspace eingeschränkt. Oberflächlich betrachtet auf den
Sehsinn, weil man mit den Augen das Geschehen auf dem Bildschirm verfolgt. Bei genauerer Betrachtung
ist die Kommunikation jedoch auf das geschriebene Wort und auf die eigene Phantasie reduziert,
angeregt durch Symbole auf dem Bildschirm.
Ein einfacher, lächelnder Smilie setzt sich zusammen aus den hintereinander weg geschriebenen
Zeichen Doppelpunkt und Klammer geschlossen. Diese Zeichenkette muß der Leser in Gedanken um
90 Grad drehen. Der Doppelpunkt waagerecht stellt jetzt das Augenpaar dar, die geöffnete
Klammer verzieht sich zum lächelnden Mund. Variationen sind möglich. Mit Prozentzeichen oder
Semikolon, Klammer auf oder zu, Fragezeichen oder Doppelpunkt lassen sich die unterschiedlichsten
Smilies für die verschiedensten Stimmungen erzeugen: Bin müde, bin überarbeitet, freue mich, toller
Witz.
Im Grunde genommen ist ein Smilies nur der billige Abklatsch eines typisierten Männchens, das als
Piktogramm erstmals auf Wegweisern der Olympiade von 1972 durch eine Infrastruktur aus
Sportstätten, Erfrischungsräumen, Toiletten und Fluchtwegen führte. Bei aller Hochachtung vor der
dahintersteckenden Kreativität fehlt den Smilies das Menschliche des Lachens, das man nur erahnen,
andeutungsweise heraushören kann. Steckt da nicht doch ein Hauch von Trauer im Humor?
Wie will man den in einer Kette von Zeichen ausdrücken? Wie soll ohne die Möglichkeit,
Nuancen auszudrücken, eine wirkliche Kommunikation stattfinden?
An anderer Stelle entscheiden solche Nuancen zwischen Verständnis und Unverständnis.
Nämlich dann, wenn eine ironisch gemeinte Nachricht verschickt wird. Der in Hamburg lebende
Journalist Peter Glaser:
(Glaser/I.290) Ironie ist, wenn man nur schreibt, ne kann problematisch sein. Kann
mißverständlich sein. Wenn ich spreche kann ich durch nen bestimmten Tonfall oder
indem ich das - indem ich ein bestimmtes Gesicht dazu mache, daß das Gegenteil dazu sagt,
was ich gerade gesprochen hab, das alles so ein bißchen im Gleichgewicht halten - Wenn
mer jetzt ne ironische Bemerkung versteht und jemand nicht den selben Sinn für Ironie hat
wie ich, dann kann er sich einfach auf den Schlips getreten fühlen - und so entstehen einfach
Mißverständnisse.
Sprecherin: Seit etwa fünf Jahren kann man in Deutschland Modems von privaten Anbietern
erstehen. Vor zwei Jahren, 1994, rief der US-amerikanische Vizepräsident Al Gore zum Ausbau
der National Information Infrastructure auf. Und erst seit kurzem werben Provider um Kunden.
Für die breite Bevölkerung öffnet sich der Zugang zum Cyberspace erst jetzt. Der
Cyberspace ist ein Einwanderungsland, seine Gesellschaft multikulturell. Unter diesen
Bedingungen können unmöglich für alle Feinheiten der Kommunikation schon
Regelungen gefunden worden sein.
Zumal sich die Kommunikation auch in einer bisher nie erreichten Geschwindigkeit abspielt.
Man erhält eine geschriebene Nachricht, Anke Bahl:
(Bahl/I.395) Und schwubbdiwubb kann man's dann auch eben zurücksenden und das in wenigen
Sekunden. D.h. daß die ganze Kommunikation eine enorme Beschleunigung erfährt. Und damit
muß man erst mal lernen umzugehen also. Das ist wirklich schwierig manchmal. Weil das, was
man vielleicht ironisch meint, und wo man sich in einem normalen Brief noch die Arbeit macht,
also gerade Ironie oder Sachen, die man witzig findet ... macht man sich mehr Mühe, das
rüberzubringen. Was man da meint und wie man das meint. Und da macht man sich beim
handgeschriebenen Brief noch mehr Arbeit mit. Und bei nem - ner Email ersetzt das oft einen
Smilie, das ich dahinter ein kleines Zeichen setze, das ist jetzt nur als Witz gemeint - aber
wenn man den jetzt vergißt, kommt das bei dem anderen als geschriebenes hartes Wort auf
dem Bildschirm an und verletzt den eventuell viel mehr. Also es gibt sehr viele Mißverständnisse,
wenn man noch nicht gelernt hat, damit umzugehen.
Sprecherin: Cyberspace. Raum der unbegrenzten Möglichkeiten und gleichzeitig Freiraum
zum ausprobieren neuer Verhaltensweisen. Ein schüchterner Mensch wird plötzlich kess,
ein Besserwisser plötzlich dumm, eine Akademikerin schlägt über die Stränge, wenn auch
nur im Fantasyreich der MUD's, ausgedrückt über eine nuancierte Sprache, von der manch
zeitgenössischer Schriftsteller nicht einmal träumen kann. Weil das, was man ausdrückt,
einfaches Erleben ist. Direkt und unmittelbar.
(Bahl/II.090) r-o-f-l steht dann für 'rolls on the floor laughing'. Also wenn jemand einen Witz
macht, dann brauche ich nur noch das einzugeben, dann verstehen die anderen schon, daß
ich das jetzt gerade tue. Aber das ist natürlich nichts, was ich im Alltag tue. Daß ich mich auf
dem Boden wälze und lache. Aber das ist im Netz ganz üblich. Also das sind auch ganz andere
Bilder, die da kommen. Oder: Ich hab mal mit einem gespielt, und der hat mir dann eine Pizza
gezaubert und hat mich betrunken gemacht mit einem Bier. Oder hat mich - mit mir getanzt.
Sweeps you around the dancefloor. Und solche Sachen, die passieren. Und die passieren nicht
unbedingt im Alltag. Also das sind - Das ist eine andere Welt mit anderen Gesetzen.
Sprecherin: Cyberspace. Der Raum, der phantastische Träume Wirklichkeit werden läßt. Die
Träume von Nähe und Gemeinschaft. Sabine Helmers:
(Helmers/II.121)
Das ist eigentlich das erstaunliche Phänomen, weshalb eben im Zusammenhang mit dem Internet
oder auch in anderen Netzen immer auch von virtuellen Gemeinschaften gesprochen wird. Es gibt
so eine eigentlich durch nichts begründete Annahme, daß diejenigen, von wo aus sie auch immer
kommen, aus welchem Land der Erde, daß diejenigen, die auch am Netz sind, mit mir irgendwas
gemeinsam haben. Daß das auf eine - Ja. Irgendwie vielleicht so ne Art Kumpel von mir sein
könnten.
Sprecherin: Und Phantasie spielt auch in alltäglichen Begegnungen eine große Rolle.
Man kennt bei einer neuen Begegnung das Gefühl, seinen fremden Gegenüber schon einmal
gesehen zu haben, ihm schon vorher begegnet zu sein. Bestimmte Menschen werden schon
aufgrund ihres ästhetischen Äußeres, ihrer angenehmen Umgangsformen für sympathisch gehalten,
bevor man etwas über Charakter und Eigenschaften des Menschen weiß. Und selbst wenn
unbestreitbare Fakten vorliegen wie ein Geruch nach Lavendel: Ist es das Parfüm oder das
Duftkissen gegen Motten.
Die Körperlosigkeit in der Cyberspace-Kommunikation, das Spiel mit der Phantasie,
spricht für Sabine Helmers nicht gegen eine virtuelle Gemeinschaft. Ganz im Gegenteil. Die
Tatsache, daß man sich nicht kennt und sieht, befördert ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
(Helmers/II.143) Diese Annahme, daß man sich mit diesen anderen Menschen irgendwie verbunden
fühlt, wird offenbar dadurch verstärkt, daß das Netz so unkörperlich ist. Und das ist so ein
ähnlicher Effekt wie bei - wie z.B. bei Taxifahrern und den Stimmen, die aus den Stimmen der
Taxifahrerzentrale kommen. Das sind eben nur die Stimmen, die man nachts hört - Das sind
Menschen, von denen man nach einigen Jahren denkt, man würde sie kennen und die man
vielleicht noch nie im Leben gesehen hat. Und trotzdem hat man das Gefühl, diese Stimme spricht
zu mir und ich kann dort alles möglich hineindenken. Es gibt eben keinen Körper dazu.
Und dadurch, daß das Netz so unkörperlich ist, hat man eben wenig äußere Signale von
Desinteresse oder Ablehnung oder was weiß ich - Man kann sich so eine Gemeinschaft im Netz
zurechtbauen, von der man immer geträumt hat.
Sprecher: Wenn dieser Vergleich zutrifft: Wenn Kontakt in einer virtuellen Gemeinschaft nichts weiter ist als ein Plauderminütchen zwischen Taxifahrer und Zentrale um drei Uhr morgens, also dann, wenn alle anderen schlafen und die Nacht - wie es einmal Hans Henny Jahnn in einem Roman ausdrückte - am schwärzesten ist, dann ist die virtuelle Gemeinschaft nichts als ein Ausdruck grenzenloser Einsamkeit. Ausdruck eines nicht mehr auszuhaltendes Alleine-seins von eingeschlossenen, angebundenen Menschen. Dann ist allein schon die Existenz einer virtuellen Gemeinschaft die Absage an jede menschliche, reale Gemeinschaft.
Sprecherin: Das ist Kulturpessimismus pur. Ungerechtfertigt, möglicher Weise. Denn so
paradox es klingen mag: Gerade die Körperlosigkeit, die Distanz zum Gegenüber in der
Anonymität - was, nebenbei gesagt, nichts mit einer Unverbindlichkeit im Umgang miteinander
zu tun hat - schafft eine im Alltag oft unbekannte Intimität. Anke Bahl:
(Bahl/II.113) Also ich glaub, daß das mit der Intimität einerseits ist es gerade so, daß man
online-Kommunikation die Intimität so hoch ist und die Leute sich Dinge sagen, die sie sich
nicht getraut hätten, sich direkt ins Gesicht zu sagen. Also daß gerade auf diesen CC, daß
man sich sicher fühlt durch die Distanz, und sicher dadurch, daß einen niemand ansieht, was
für ein Gesicht man dabei macht. Die Leute sehr sehr vertraut miteinander umgehen. Aber das
ist in den Online-Kommunikatonen. Und vielleicht auch in Emails. Also das hängt von den Leuten ab.
Sprecher: In Wirklichkeit haben nur nachtaktive Computerfreaks die virtuellen Gemeinschaften nötig. Weil die tagsüber schlafen, die Nächte in ihren chaotischen Hackerbuden vor den Monitoren verbringen und sich und ihre Körper vollkommen vernachlässigen. Das acht Gänge Menue eines Hackers: Currywurst mit Pommes frites und einem Six-pack Bier. Kein Wunder, daß ihnen bei solchen Verhaltensstörungen das normale Gespräch über Gott und die Welt und der normale Umgang mit Nicht-Computerfreaks außerordentlich schwer fällt.
Sprecherin: Seit Josef Weizenbaum in seinem Buch 'Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft' Hacker als halb verwahrloste Fachidioten beschrieb, meint jeder, solche Typen zu kennen. Tatsache ist, daß es gerade einige Examensarbeiten und wenige Studien über Netznutzer gibt. Und die Studie des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung, Karlsruhe, besagt, daß je zur Hälfte die Netznutzer berufstätig oder studierend sind und ein Drittel der Studenten arbeitet in einem Teilzeitjob. Niemand im Berufsleben kann sich das nachtaktive Leben in einer Hackerbude leisten. Niemand kann als verkommener Hacker permanent gegen die herrschende Kleiderordnung in Büros und Rechenzentren verstoßen, ohne irgendwann seinen Job zu verlieren.
Sprecher: Einmal über den Tellerrand des Cyberspace geschaut, wie der Körper in anderen
Medien bewertet wird. Als Konkurrenz zur Erfolgsserie 'Lindenstraße' flimmern Produktionen der
privaten Fernsehkanäle über den Bildschirm, deren bekanntestes Produkt 'Gute Zeiten, schlechte
Zeiten' heißt. Dem Sender kommt es in dieser Reihe weder auf lebensnahe Dialoge, eine
glaubwürdige Kulisse oder gar Darstellern mit schauspielerischen Talenten an. Wichtig allein
ist die Erscheinung, das Aussehen der Schauspieler. Modells wurden engagiert.
Ähnlich in der Musik. Die Mitglieder der Teenie Band 'Take That' mußten nicht wirklich singen
oder ein Instrument spielen können. Wichtig auch hier: Allein ihr Aussehen, mit dem jeder
der Jungen einen bestimmten Typen repräsentierte. Den schlanken Dunklen, den dicklichen Blonden.
Kein Wunder, daß die Schauspieler von 'Gute Zeiten - schlechte Zeiten' sofort nachstießen und
die deutsche Antwort auf Take That formierten: Just Friends.
Unter dem Vorwand einer Individualität werden den Menschen gestylte - man kann sagen:
designte - Prototypen ihrer Selbst vorgespiegelt, die ein Durchschnittsmensch im Alltag nie
erreicht. Weil der Alltag Spuren am Körper hinterläßt: Krumme Beine, Bauchansatz, dünne
Haare, eine Narbe. Gründe genug, ein Fitneßstudio, eine Sonnenbank aufzusuchen und den
Körper ein wenig auf Vordermann zu bringen - sein Erscheinungsbild. Der Karlsruher
Philosoph Professor Peter Sloterdijk:
(Sloterdijk/I.020) Es ist natürlich so, daß in den Medien ein Individualitätskult getrieben wird.
Aber - Es ist ein Kult, der die Zeichen der Individualität betrifft. Mit anderen Worten, die Insignien.
Oder sozusagen - Und das bedeutet, das ist Individualität im Zeitalter des Designs. Individualität,
so wie sie in den Medien kultisch präsentiert wird, ist ein Designeffekt, wobei Individuen als
Selbstdesigner angesprochen werden. Jeder entwirft sich selbst. Und zwar seine Erscheinung.
Sein Erscheinungsbild, wie man so schön sagt.
Sprecher: Also. Körper ohne Kommunikation im Fernsehen und auf den Bühnen der
Popkonzerte, und Kommunikation ohne Körper im Cyberspace. Was auf der Strecke
bleibt ist der Mensch, das Individuum. Peter Sloterdijk:
(Sloterdijk/I.035) Die klassische Individualität war ja ein grammatisches Phänomen, mit anderen
Worten: Sie wurde gebildet im Gespräch mit den Dichtern, mit den Komponisten, mit den Künstlern
der Tradition, die einem zeigen, wo die tiefste Stelle der eigenen Seele liegt. Das ist eine ganz
andere Kultur, die über Innerlichkeit vermittelt worden ist, die neue Individualitätskultur ist wie
gesagt eine, die mit Zeichenarrangements, mit Erscheinungsbildern zu tun hat.
Sprecherin: Die Kommunikation im Cyberspace basiert auf Texten, nicht auf äußeren Zeichen und Statussymbolen. Und durch die Intimität der Inhalte, durch das vertraute Verhältnis untereinander liegt im Cyberspace die Chance individuel mit Sprache, mit Bildern auseinanderzusetzen. Gerade weil die Kommunikation in der virtuellen Gemeinschaft körperlos geführt wird, bietet sich die Möglichkeit, die tiefsten Stellen der eigenen Seele auszuloten.
Sprecher: Allen Utopien zum trotz haben sich bisher in jeder bekannten Gemeinschaft, in
jeder Kultur Hirarchien herausgebildet. Der Ethnologie ist keine Gesellschaft ohne ein Oben
und ein Unten bekannt. Äußere Zeichen der Macht und des Ansehens, Statussymbole, verstärken
das Gefälle zwischen tonangebenden Solisten und dem Chor. Sabine Helmers:
(Helmers/I.465) Also in einer Welt, die sehr stark vom Umgang mit technischen Dingen geprägt
ist, in der diese Sachen eben eine fundamentale Bedeutung haben - Netzwelten sind technische
Welten - ist es eben sehr naheliegend auch, daß sich Rangordnungen oder Hirarchien, so sie sich
denn herausbilden, und das scheinen sie sich offenbar in allen menschlichen Gemeinschaften zu
tun, durch technische Dinge geprägt sind. Und das bedeutet dann: Am angesehendsten ist diejenige
Person, die sich am besten und souveränsten auskennt und bewegt in diesen technischen
Umgebunden.
Sprecher: Unter dem Stichwort 'Computerreligion' hat sich im Internet gleich eine ganze Gruppe von Diskussionsforen gebildet, in denen solch dogmatische Diskussionen geführt werden, wie man sie bisher nur um Automarken kennt: Mein Mac-Betriebssystem ist das beste, oder mein System Unix.
Sprecherin: Bei allem Streit ist im Netz eine eigene Kultur entstanden. Eine funktionierende Kultur,
die sich ihre eigenen sozialen Regeln schuf, ihre eigene Netz - Etikette, ihre Nettikette. Von
Werteverlust, sozialer Entwurzelung, zunehmender Gewalt im Cyberspace keine Spur. Man hält
sich an die Regeln. Peter Glaser:
(Glaser/II.005) Eine Regel lautet: denk daran, daß auf der anderen Seite ein Mensch sitzt und keine
Maschine - eine Regel lautet: Sei stolz auf deine Texte, was bedeutet: Achte auf den Stil ... Es gibt
ne andere Regel, die lautet: Wenn du eine Frage gestellt hast und viele Antworten bekommen hast.
Dann konzentriere Dein Wissen und gib es zurück ins Netz.
Sprecher: Hier wird romantiziert und nichts als romantiziert. Man trauert einem Land und
Lebensumständen nach, die es in solcher Eintracht, in solcher Harmonie nie gab. Mit dem
Cyberspace sucht man ein Märchenland ohne Königssöhne und Prinzessinnen.
Ein modernes Märchenland, das am ehesten seine Entsprechung in den unendlichen Weiten
des Weltraums oder der Prärie der US-amerikanischen Pionierzeit findet, beides aufbereitet
von der Traumfabrik Hollywood. Sabine Helmers:
(Helmers/II.302) Diese Tendenz, die heute zu beobachten ist, zu einer nostalgischen Verklärung
der guten alten Pionierzeit des Internet, hängt vielleicht auch damit zusammen, daß heutzutage
noch stärker vielleicht als früher ein Interesse daran besteht, aus dem Netz etwas besonderes zu
machen. Es hat eine eigene Kultur, dort gibt es eine eigene Nettikette, dort gibt es eigene Regeln,
dort sind bestimmte Menschen, die vielleicht -
Sprecher: Und nett sind die Bewohner des Cyberspace lange nicht. Ihnen fehlt die Kontrolle, ihre Gesetze sind moralisch bindend, nicht juristisch. Die einen bieten Kinderpornographie feil, die anderen, die Neofaschisten, planen Überfälle auf unsere Mitbürger. Wiederum andere werden in den schon genannten Fantasyspielen, in den MUD's, zu virtuellen Vergewaltigern. In einem Artikel für die Computerzeitschrift CT schreibt Anke Bahl den Fall des sich hinter dem Charakter Mr. Bungel verbergenden Mitspielers des MUD's LamdaMOO. Der hatte im Spielverlauf einige andere Charaktere ins virtuelle Haupthaus gelockt und sie zu sexuellen Handlungen genötigt. Die Mitspielerin hinter dem Charakter Legba mußte vor dem Bildschirm hilflos mitlesen, wie ihre Netzidentität, in der sie seit Jahren Gefühle und Energie investierte, digital durch den Schmutz gezogen wurde.
Sprecherin: Im Cyberspace entwickeln sich Mechanismen gegen solche Vorfälle. Mr. Bungel verlor
seinen Spielzugang, ein Charakter wurde durch eine schleimige Kröte ersetzt - was im
Cyberspace die Vollstreckung eines Todesurteils ist.
Ähnlich erging es einem US-amerikanischen Anwalt, der den Cyberspace verbotener Weise
zur PR-Kampagne für seine Kanzlei mißbrauchte und das Netz mit Tausenden von Kopien seiner
Werbeanzeige verstopfte. Wochenlang schickten ihm verärgerte Cybernauten leere Faxe, das
Telefon klingelte unaufhörlich, sinnvolle Emails aus dem Wust von Informationsmüll
herauszusuchen war Schlichtweg unmöglich. Die Aktionen endeten erst, als ein skandinavischer
Informatiker eine Programm entwickelte, das sich selbständig im Netz auf die Suche nach dem
Namen des Anwaltes machte und die entsprechende Datei löschte. Ein Programm übrigens,
aus dem die heutigen Suchmaschinen des Internet entwickelt wurden.
Der Cyberspace ist nicht nur der letzte Freiraum in unserer Gesellschaft, die letzte Nische
zur Selbstverwirklichung. Cyberspace ist auch das Schlaraffenland für Informationsjunkies.
Friedrich Kittler:
(Kittler/II.418) Im Moment siehts total danach aus, aber niemand will die Hand dafür abhacken lassen, daß das immer so bleibt oder ob nicht - Es gibt ja Regulierungsversuche, was Pornographie, Rechtsradikale und political correctness angeht jetzt schon in den Netzen. Aber der momentane Stand ist erfreulich so, wie Sie ihn schildern. Es gelingt durch Pressegesetze usw. Zeitungen zu staatstreuer Geschlossenheit anzuhalten und es gelingt nicht, es im Netz noch durchzusetzen.
Sprecher: Die virtuelle Gemeinschaft stellt keine positive Utopie zu unserer realen Gesellschaft
dar, sie ist bestenfalls ihr Spiegelbild, wenn nicht ein billiger Abklatsch. Auch hier gibt es keine
eigentliche Gesellschaft, keinen Zusammenhalt, sondern nur lose, weil virtuelle Zusammenschlüsse
von Gleichgesinnten. Päderasten, Neonazis, Goldfischzüchter, Computerhacker. Die Gesellschaft
fragmentiert sich, löst sich auf.
Wie in der Realität, nur daß hier der Auflösungsprozeß durch den Einsatz vernetzter Computer
noch schneller von statten geht. Man sitzt nur noch vor dem Bildschirm, kommuniziert mit Leuten,
die man nie gesehen, denen man nie begegnet ist. Und um dem Ganzen noch eines aufzusetzen,
kommuniziert man nicht nur im Phantasiegebilde des Cyberspace, sondern oft sogar in einer
Fantasywelt, aufgesetzt auf den Cyberspace.
Natürlich kann man sich in solch weltabgeschiedener Gegend wunderbar ausprobieren. Vielleicht
sogar sich und sein Verhalten ändern. Was jedoch in der Hauptsache dabei herauskommt, sind
lebens- und weltuntaugliche Einsiedler, tief vergraben in ihren Hirngespinsten von Computer
und Technik.
Sprecherin: Die Summe ist schon immer mehr gewesen als die einfache Addition von Einzelteilen.
Ein jeder trägt ein bißchen bei. In den Newsgroups, in den MUD's, durch den Austausch per Email.
Natürlich, man muß den Umgang im Cyberspace miteinander üben. Man muß soziale Regeln
aufstellen und sich an soziale Regeln halten. Und man muß wissen, wie man mit Regelbrechern
umgehen kann. Mechanismen müssen entwickelt werden.
Doch schon jetzt entsteht eine neue, nie erreichte Qualität, allein durch den Austausch von
Informationen in den Newsgroups. Durch die ganz unterschiedlichen Diskussionsbeiträge, mit der
Durchmischung aus fundierten Beiträgen und Informationsmüll ist in der Summe etwas entstanden,
daß sich am besten als kollektive Vernunft, vielleicht sogar als kollektive Intelligenz beschreiben
läßt. Denn wer eine Information sucht, wer die Lösung zu einem Problem braucht kann ziemlich
sicher sein: Irgend einer von den Millionen Bewohnern des Cyberspace hat eine brauchbare Antwort.