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Klassische Netzwerkspiele

Keine Chance für Godot

von Martin Goldmann (http://www.goldmann.de)

erschienen im pl@net November 1996


Onlinespiele - da denkt man an Java-Applets oder aufwendige Frontends. Doch es geht auch ohne technischen Schnickschnack. Begeben wir uns zurück in die Zeiten da Ansi-Grafiken das Höchste waren und brave Zocker per Telnet spielten.

»Du Schwein!« Godot, sonst ein eher freundlicher Mitbürger, war sauer. Zu Recht. Denn über Nacht war aus seiner orkischen Großmacht ein Zwergenstaat geworden. Einem Überfall von fünf Nationen konnten selbst die geballten Armeen der Finsternis nicht widerstehen. Zumal der Angriff von allen Seiten geführt wurde. Über Nacht, kurz vor dem Update. Godot hatte keine Chance mehr, gegen die Attacke zu rüsten, denn morgens um 1 Uhr, als ihm der Krieg erklärt wurde und die Armeen einmarschierten, lag er friedlich schlummernd im Bett. Um 5 Uhr errechnete Conquer dann die neue Spielsituation. Um Godot war es geschehen; in dieser Runde sollte er nur noch eine Nebenrolle spielen.
Godot wäre besser kein Ork geworden. Denn diese niederen Kreaturen verstehen Zwerge, Elfen oder Menschen nur, wenn diese ihnen die Schädel spalten, die Hütten abbrennen und alle Futtervorräte nehmen.
Kein Appeasement, kein Mitleid. Die Message von Conquer ist klar: Täusche deine Nachbarn mit Friedensverträgen, rüste auf und mach sie platt. Nimm dir dafür einen oder zwei Bündnispartner, die du dann als nächstes vernichtest. Nichts für Kinder und erschrockene Medienpädagogen.
Conquer erinnert an das Microprose-Spiel Civilization. Hier wie dort haben Sie die Aufgabe, eine Nation zu lenken und zu mehr Größe zu verhelfen. Nur haben andere Spieler das gleiche Ziel. Per E-Mail führen Sie Verhandlungen mit Gegnern und Verbündeten, per Menübefehl erklären Sie Feindseligkeiten, Krieg oder Frieden.
Gespielt wird in Runden: Einmal pro Tag oder auch einmal pro Woche errechnet der Computer die neuen politischen Verhältnisse, dann werden die Machtverhältnisse neu verteilt. Pech für den Welteneroberer, der die Stunde der Entscheidung einfach verschlafen hat.

Hilfe, mich verfolgt ein »K«!

Mit Java, Multimedia und all diesem neumodischen Kram hat Conquer nichts am Hut. Conquer ist ein Onlinespiel. Conquer läuft unter Unix und ist in »C« programmiert, wie es sich gehört. Grafik? Fehlanzeige. Wozu auch? jeder Geländeabschnitt ist durch einen Buchstaben markiert, notfalls lassen sich weitere Buchstabensets zuschalten, um einen besseren Überblick zu bekommen - und den zufällig neben dem Monitor stehenden AOL-User endgültig zu verwirren. Maussteuerung? Blödsinn. Wer nicht mit den Tasten [H], [J], [K] und [L] auf Beutezug geht, hat online nichts verloren. Dafür läßt sich Conquer von jedem Terminal aus spielen.
Wer nachts im Traum vor einem großen »K« panisch wegrennt und dabei prompt einem »G« in die Arme läuft, hat zuviel Nethack gespielt. Die Gänge aus Doppelkreuzen und die Wände aus ASCII vermitteln eine besonders klaustrophobische Atmosphäre.
Niemand weiß, welches Monster wohl hinter der nächsten Ecke lauert. Der Spieler kann die Gegner nur dann sehen, wenn sie im Blickfeld sind. Gerade Einsteiger trifft der Tod schnell.
Eine monströse Begegnung muß nicht unbedingt tödlich für den Spieler ausgehen. Mit neuen Waffen, ständig steigenden Erfahrungswerten und ausreichend Hitpoints graben Sie sich durch die Level. Beim Start von Nethack sucht sich der Spieler einen Charakter aus, wählt zwischen Kämpfern, Samurais oder Dieben. Jeder Charakter hat bestimmte Vorzüge, manche sind von vornherein stärker und gehen geschickter mit der Waffe um, andere wiederum sind intelligenter und kommen deshalb schneller mit Zaubersprüchen zurecht. Das Ziel ist, in die unterste Ebene zu kommen, einen Talisman zu fördern und ihn an die Oberfläche zu bringen. Doch das klingt einfacher, als es ist.

Nicht fragen, kämpfen!

In jeder Ecke, in jedem Raum kann ein Hinweis oder eine neue stärkere Waffe liegen. Durch das Verspeisen von genießbaren Monstern oder Glückskeksen kämpft der Spieler, gekennzeichnet durch ein »@«, gegen den Hunger. Wer genügend Gegner ins Jenseits schickt, gewinnt an Macht und kann Zaubersprüche erlernen, die jedem Monster den Kopf wegpusten. Online hat Nethack besonderen Reiz. Wenn Sie etwas länger überleben, dürfen Sie Ihren Namen in einer Bestenliste eintragen. Das steigert die Motivation, es immer wieder zu versuchen. Dumm nur, daß das Spiel jedesmal anders aufgebaut ist.
Nethack dürfen Sie aber auch zu Hause spielen. Jede ftp-Site hält eine aktuelle Version des Spiels zum Downloaden bereit. Und Nethack ist das ideale Spiel für schwachbrüstige PCs - selbst auf einem alten IBM-PC bietet Nethack raffinierteren Spaß, als Doom und Konsorten das vermögen.
Larn und Ularn sind Varianten von Nethack, die ebenfalls online sind. Die hier etwas einfacher aufgebauten Dungeons und nicht ganz so biestigen Monster sind insbesondere für unerfahrene Einsteiger geeignet. Auch Larn liegt auf zahlreichen Servern zum Download bereit.

Willkommen in der Folterkammer

Multi User Dungeons (MUD) sind eine Mischung aus Chat und Text-Adventure. Mit einfachen Textkommandos bewegen sich die Charaktere durch finstere Wälder, lauschige Lichtungen und tiefe Gewölbe. Daß hier allerlei Unbill auf sie wartet, ist klar. Horden von Monstern stehen dem Spieler entgegen und sorgen für ungleich mehr Spaß als die Weichei-Dialoge in krampfhaft harmonisierten virtuellen Soziopathenkulturen wie Worlds Away.
Kein MUD-Spieler braucht gezeichnete Comicfiguren, kein MUD-Spieler redet von Avataren und Tokens. Und niemand kann sich in MUD für ein paar Taler einen neuen Kopf kaufen. Im Gegenteil: Wenn der Kopf ab ist, ist er ab.
Grafischer Firlefanz ist im Multi User Dungeon unnötig. In einen MUD muß man sich hineinlesen. Vor dem schwarzen Hintergrund bauen weiße Zeichen eine Phantasiewelt auf, die der Kopf umsetzen muß. MUD ist ein endloser tief verzweigter Abenteuerroman, in dem man die Hauptrolle selbst spielt. Wenn Sie sich richtig gruseln wollen, spielen Sie MUD nachts in einem ruhigen, dunklen Zimmer und sorgen Sie dafür, daß Ihre Spielfigur überlebt. Die Überlebenschancen hängen vor allem von den Mitspielern ab. Es gibt Multi User Dungeons, in denen ein virtuelles Leben keinen Pfifferling wert ist. Andere MUDs hingegen verbieten das Umbringen von Mitspielern und eignen sich somit besser für Einsteiger und für gemütlichere Spieler.

Friede, Freude, MorgenGrauen

MorgenGrauen heißt das prominenteste deutschsprachige MUD. Und hier herrscht eiserner Frieden. Wer einen anderen Spieler angreift, bekommt enorme Schwierigkeiten. Das MUD besteht seit 1994 und erlaubt gerade Newbies einen sanften Einstieg. Die ersten Gegner sind kaum der Rede wert - Blattläuse, Ameisen und Kakerlaken kann jeder mit nur wenigen Handgriffen um die Ecke bringen.
Wenn man Glück hat und sich mit den anderen Muddies gut stellt, kommt man sehr schnell zu einer Stange Geld und zu einer guten Ausrüstung. Denn die Bevölkerung von Morgengrauen ist äußerst großzügig. Wer von seinen Raubzügen genügend Geld übrig hat, gibt es großzügig an die Neuen ab. Und die unerfahrenen Spieler werden gern von den ,»Großen« an die Hand genommen und dann durchs Land geführt.
Wer sich halbwegs auskennt, darf das erste Abenteuer in Angriff nehmen. Nur wer knackige Rätsel löst und bei der Gelegenheit auch den einen oder anderen Ork ins Jenseits schickt, kommt zu Punkten und zu höheren Spielstufen. Einsteiger müssen sich noch mit einfachen Waffen langweilen. Aufsteiger versuchen sich an magischen Pfeilen, Könner reißen mit einem Feuerball jedem Drachen die Zehen aus der Tatze.

Der Alltag eines Monsters

Der Arbeitstag in einem MUD kann vielfältig ausfallen. Wer keine Lust auf Abenteuer hat, der stellt sich an Eingänge von Städten und zeigt Neulingen, wo sie ihre ersten einfachen Aufgaben lösen. Mächtige Seher arbeiten hin und wieder auch als Rettungsdienstler und holen verirrte Mitspieler aus Dungeons.
MUD wird entweder über Telnet oder mit einem MUD-Client gespielt. Ein solcher Client erlaubt mehrere MUD-Sessions gleichzeitig, bietet Automapping und Scripts. Diese fassen mehrere Anweisungen in einem Befehl zusammen und dienen in erster Linie der Fortbewegung oder auch dem Lösen von Routineaufgaben.
Fatal werden diese Bewegungsscripts allerdings, sobald sich die MUD-Landschaft verändert. Mächtige Abenteurer verloren auf diese Weise schon Status und Leben. Wurde beispielsweise während einer Spielpause der Weg verändert, kann der Abenteurer auf seinem Weg ins Gebirge auf einer neu gebauten Hängebrücke ausrutschen und sich das Genick brechen. Er wird dann mit weniger Erfahrungspunkten und einer niedrigeren Spielstufe wieder zum Leben erweckt. Immerhin.
Wer lange genug spielt, wird irgendwann Magier. Diese Gilde spielt eine besondere Rolle in der Welt des MUDs. Magier dürfen eigene Räume gestalten und eigene Welten sowie Abenteuer in das MUD einbringen. So wächst ein MUD ständig, wird immer größer und unübersichtlicher.
Doch Monster, Geld und Abenteuer bilden nur die eine Seite der interaktiven Rollenspiele. Multi User Dungeons sind gleichzeitig Tummelplätze für Chatsüchtige, die nicht im Internet Relay Chat herumhangen wollen, wenn sich dort gerade niemand zum Palavern findet. In einem MUD gibt es immer Gesprächsstoff - sei es die Diskussion um ein Abenteuer oder die gemeinsame Pirsch nach begehrten Artefakten: Und in der gemütlichen Atmosphäre eines schaurigen Verlieses plaudert es sich bekantlich besonders gut.

Bekenntnisse eines Conquer-Süchtigen

Lassen Sie sich nicht von der Überschrift täuschen. Ich bin nicht süchtig. Ich könnte jederzeit mit Conquer Aufhören. Angefangen hat es, glaube ich, 1987. Der Begriff »online« war mir fremd, es faszinierte mich schon, wenn von irgendwoher ein Zeichen auf dem Bildschirm auftauchte - zeitgemäß mit einem 300-Baud Akustik-Koppler, Chats waren der Hit. Und dann kam Conquer, ein Spiel, bei dem man seine Chatpartner plötzlich zwischen die virtuellen Fäuste bekam. Seither spiele ich Conquer.
Schlimm ist nicht, daß ich dazu täglich einen Zug machen muß. Das dauert nur eine Stunde oder etwas länger. Schlimm ist, wenn der Server abstürzt und ich nicht spielen kann. Noch schlimmer wenn ich in den Urlaub fahren muß. Oder wenn der Beruf mich für mehrere Tage in analoge Gefilde entführt, weit abseits meiner Elfenfreunde. Süchtig bin ich aber nicht.
Kennen Sie Civilization? Es ist gut, und es hat eine (lahme) Grafik. Conquer ist besser es bietet mehr strategische Elemente (wenn auch keine Grafik). Und man spielt gegen Menschen, die einen nach dem Triumph beschimpfen. Gibt es Schöneres? Süchtig bin ich jedenfalls nicht.

Alfred Poschmann, Journalist, ist seit Jahren nur schwer telefonisch erreichbar. Er reagiert auf E-Mail unter fredl@cube.net und wird demnächst eine eigene Internet-Conquer-Runde starten.
Die Testversion ist zu sehen unter
Conquer-Testrunde. telnet://cublxl.cube.net:8000

Deutschsprachige MUDs
Avalon: telnet://avalon.fh-augsburg.de:7777
Avalon Homomepage: avalon.fh-augsburg.de:7777
Morgengrauen: telnet://mud.uni-muenster.de
Morgengrauen-Homepage: http://santana.uni-muenster.de/~mud
Unitopia: telnet://unitopia.uni-stuttgart.de:3333
Unitopia-Homepage: http://unitopia.uni-stuttgart.de
Wunderland: telnet://witla.rz.Uni-leipzig.de:4711
Finalfrontier: telnet://141.44.22.50:7600
Finalfrontier-Homepage: http://www-hppool.cd.uni-magdebuerg.de/~mud/index.html
MUD International (die ultimative Liste): http://www.mudconnect.com

Nethack-Homepages
Mikos Nethack-Homopage: http://www-personal.engin.umich.edul/~mneylon/nethack
The Nethack-Homepage: http://www.win.tue.nl/games/roguelike/nethack
3Us Nethack-Homepage: http://blues.helsinki.fil/~vviitane/nethack.html
Larn-Homepage: http://www.win.tue.nt:82/games/roguelike/larn

Nethack-Onlinespiele:
Nethack-Telnet-Server: telnet://nethaec.bitech.com

MUD-Clients
Zmud: http://www.trail.com/~zugg/zmud.html
Autumnal: http://mush.foobar.co.uk/autumnal/download.html
Java-Mud-Client: http://noisey.oise.on.ca/java/telmud/MudClient.html
Cup-0-Mud Java-Client: http://moo.du.org/java/Cupmud/Cup0mud.docs.html
Mutt: http://www.graph.com


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