Klassische Netzwerkspiele
Keine Chance für Godot
erschienen im pl@net November 1996
Onlinespiele - da denkt man an Java-Applets oder aufwendige Frontends.
Doch es geht auch ohne technischen Schnickschnack. Begeben wir uns
zurück in die Zeiten da Ansi-Grafiken das Höchste waren und
brave Zocker per Telnet spielten.
»Du Schwein!« Godot, sonst ein eher freundlicher Mitbürger, war
sauer. Zu Recht. Denn über Nacht war aus seiner orkischen
Großmacht ein Zwergenstaat geworden. Einem Überfall von
fünf Nationen konnten selbst die geballten Armeen der Finsternis
nicht widerstehen. Zumal der Angriff von allen Seiten geführt
wurde. Über Nacht, kurz vor dem Update. Godot hatte keine Chance
mehr, gegen die Attacke zu rüsten, denn morgens um 1 Uhr, als ihm
der Krieg erklärt wurde und die Armeen einmarschierten, lag er
friedlich schlummernd im Bett. Um 5 Uhr errechnete Conquer dann die
neue Spielsituation. Um Godot war es geschehen; in dieser Runde sollte
er nur noch eine Nebenrolle spielen.
Godot wäre besser kein Ork geworden. Denn diese niederen
Kreaturen verstehen Zwerge, Elfen oder Menschen nur, wenn diese ihnen
die Schädel spalten, die Hütten abbrennen und alle
Futtervorräte nehmen.
Kein Appeasement, kein Mitleid. Die Message von Conquer ist klar:
Täusche deine Nachbarn mit Friedensverträgen, rüste auf
und mach sie platt. Nimm dir dafür einen oder zwei
Bündnispartner, die du dann als nächstes vernichtest. Nichts
für Kinder und erschrockene Medienpädagogen.
Conquer erinnert an das Microprose-Spiel Civilization. Hier wie dort
haben Sie die Aufgabe, eine Nation zu lenken und zu mehr
Größe zu verhelfen. Nur haben andere Spieler das gleiche
Ziel. Per E-Mail führen Sie Verhandlungen mit Gegnern und
Verbündeten, per Menübefehl erklären Sie
Feindseligkeiten, Krieg oder Frieden.
Gespielt wird in Runden: Einmal pro Tag oder auch einmal pro Woche
errechnet der Computer die neuen politischen Verhältnisse, dann
werden die Machtverhältnisse neu verteilt. Pech für den
Welteneroberer, der die Stunde der Entscheidung einfach verschlafen
hat.
Hilfe, mich verfolgt ein »K«!
Mit Java, Multimedia und all diesem neumodischen Kram hat Conquer
nichts am Hut. Conquer ist ein Onlinespiel. Conquer läuft unter
Unix und ist in »C« programmiert, wie es sich gehört. Grafik?
Fehlanzeige. Wozu auch? jeder Geländeabschnitt ist durch einen
Buchstaben markiert, notfalls lassen sich weitere Buchstabensets
zuschalten, um einen besseren Überblick zu bekommen - und den
zufällig neben dem Monitor stehenden AOL-User endgültig zu
verwirren. Maussteuerung? Blödsinn. Wer nicht mit den Tasten [H],
[J], [K] und [L] auf Beutezug geht, hat online nichts verloren.
Dafür läßt sich Conquer von jedem Terminal aus
spielen.
Wer nachts im Traum vor einem großen »K« panisch wegrennt und
dabei prompt einem »G« in die Arme läuft, hat zuviel Nethack
gespielt. Die Gänge aus Doppelkreuzen und die Wände aus
ASCII vermitteln eine besonders klaustrophobische Atmosphäre.
Niemand weiß, welches Monster wohl hinter der nächsten Ecke
lauert. Der Spieler kann die Gegner nur dann sehen, wenn sie im
Blickfeld sind. Gerade Einsteiger trifft der Tod schnell.
Eine monströse Begegnung muß nicht unbedingt tödlich
für den Spieler ausgehen. Mit neuen Waffen, ständig
steigenden Erfahrungswerten und ausreichend Hitpoints graben Sie sich
durch die Level. Beim Start von Nethack sucht sich der Spieler einen
Charakter aus, wählt zwischen Kämpfern, Samurais oder
Dieben. Jeder Charakter hat bestimmte Vorzüge, manche sind von
vornherein stärker und gehen geschickter mit der Waffe um, andere
wiederum sind intelligenter und kommen deshalb schneller mit
Zaubersprüchen zurecht. Das Ziel ist, in die unterste Ebene zu
kommen, einen Talisman zu fördern und ihn an die Oberfläche
zu bringen. Doch das klingt einfacher, als es ist.
Nicht fragen, kämpfen!
In jeder Ecke, in jedem Raum kann ein Hinweis oder eine neue
stärkere Waffe liegen. Durch das Verspeisen von genießbaren
Monstern oder Glückskeksen kämpft der Spieler,
gekennzeichnet durch ein »@«, gegen den Hunger. Wer genügend
Gegner ins Jenseits schickt, gewinnt an Macht und kann
Zaubersprüche erlernen, die jedem Monster den Kopf wegpusten.
Online hat Nethack besonderen Reiz. Wenn Sie etwas länger
überleben, dürfen Sie Ihren Namen in einer Bestenliste
eintragen. Das steigert die Motivation, es immer wieder zu versuchen.
Dumm nur, daß das Spiel jedesmal anders aufgebaut ist.
Nethack dürfen Sie aber auch zu Hause spielen. Jede ftp-Site
hält eine aktuelle Version des Spiels zum Downloaden bereit. Und
Nethack ist das ideale Spiel für schwachbrüstige PCs -
selbst auf einem alten IBM-PC bietet Nethack raffinierteren
Spaß, als Doom und Konsorten das vermögen.
Larn und Ularn sind Varianten von Nethack, die ebenfalls online sind.
Die hier etwas einfacher aufgebauten Dungeons und nicht ganz so
biestigen Monster sind insbesondere für unerfahrene Einsteiger
geeignet. Auch Larn liegt auf zahlreichen Servern zum Download
bereit.
Willkommen in der Folterkammer
Multi User Dungeons (MUD) sind eine Mischung aus Chat und
Text-Adventure. Mit einfachen Textkommandos bewegen sich die Charaktere
durch finstere Wälder, lauschige Lichtungen und tiefe
Gewölbe. Daß hier allerlei Unbill auf sie wartet, ist klar.
Horden von Monstern stehen dem Spieler entgegen und sorgen für
ungleich mehr Spaß als die Weichei-Dialoge in krampfhaft
harmonisierten virtuellen Soziopathenkulturen wie Worlds Away.
Kein MUD-Spieler braucht gezeichnete Comicfiguren, kein MUD-Spieler
redet von Avataren und Tokens. Und niemand kann sich in MUD für
ein paar Taler einen neuen Kopf kaufen. Im Gegenteil: Wenn der Kopf ab
ist, ist er ab.
Grafischer Firlefanz ist im Multi User Dungeon unnötig. In einen
MUD muß man sich hineinlesen. Vor dem schwarzen Hintergrund
bauen weiße Zeichen eine Phantasiewelt auf, die der Kopf
umsetzen muß. MUD ist ein endloser tief verzweigter
Abenteuerroman, in dem man die Hauptrolle selbst spielt. Wenn Sie sich
richtig gruseln wollen, spielen Sie MUD nachts in einem ruhigen,
dunklen Zimmer und sorgen Sie dafür, daß Ihre Spielfigur
überlebt. Die Überlebenschancen hängen vor allem von
den Mitspielern ab. Es gibt Multi User Dungeons, in denen ein
virtuelles Leben keinen Pfifferling wert ist. Andere MUDs hingegen
verbieten das Umbringen von Mitspielern und eignen sich somit besser
für Einsteiger und für gemütlichere Spieler.
Friede, Freude, MorgenGrauen
MorgenGrauen heißt das prominenteste deutschsprachige MUD. Und
hier herrscht eiserner Frieden. Wer einen anderen Spieler angreift,
bekommt enorme Schwierigkeiten. Das MUD besteht seit 1994 und erlaubt
gerade Newbies einen sanften Einstieg. Die ersten Gegner sind kaum der
Rede wert - Blattläuse, Ameisen und Kakerlaken kann jeder mit nur
wenigen Handgriffen um die Ecke bringen.
Wenn man Glück hat und sich mit den anderen Muddies gut stellt,
kommt man sehr schnell zu einer Stange Geld und zu einer guten
Ausrüstung. Denn die Bevölkerung von Morgengrauen ist
äußerst großzügig. Wer von seinen Raubzügen
genügend Geld übrig hat, gibt es großzügig an die
Neuen ab. Und die unerfahrenen Spieler werden gern von den
,»Großen« an die Hand genommen und dann durchs Land
geführt.
Wer sich halbwegs auskennt, darf das erste Abenteuer in Angriff
nehmen. Nur wer knackige Rätsel löst und bei der Gelegenheit
auch den einen oder anderen Ork ins Jenseits schickt, kommt zu Punkten
und zu höheren Spielstufen. Einsteiger müssen sich noch mit
einfachen Waffen langweilen. Aufsteiger versuchen sich an magischen
Pfeilen, Könner reißen mit einem Feuerball jedem Drachen
die Zehen aus der Tatze.
Der Alltag eines Monsters
Der Arbeitstag in einem MUD kann vielfältig ausfallen. Wer keine
Lust auf Abenteuer hat, der stellt sich an Eingänge von
Städten und zeigt Neulingen, wo sie ihre ersten einfachen
Aufgaben lösen. Mächtige Seher arbeiten hin und wieder auch
als Rettungsdienstler und holen verirrte Mitspieler aus Dungeons.
MUD wird entweder über Telnet oder mit einem MUD-Client gespielt.
Ein solcher Client erlaubt mehrere MUD-Sessions gleichzeitig, bietet
Automapping und Scripts. Diese fassen mehrere Anweisungen in einem
Befehl zusammen und dienen in erster Linie der Fortbewegung oder auch
dem Lösen von Routineaufgaben.
Fatal werden diese Bewegungsscripts allerdings, sobald sich die MUD-Landschaft
verändert. Mächtige Abenteurer verloren auf diese
Weise schon Status und Leben. Wurde beispielsweise während einer
Spielpause der Weg verändert, kann der Abenteurer auf seinem Weg
ins Gebirge auf einer neu gebauten Hängebrücke ausrutschen
und sich das Genick brechen. Er wird dann mit weniger
Erfahrungspunkten und einer niedrigeren Spielstufe wieder zum Leben
erweckt. Immerhin.
Wer lange genug spielt, wird irgendwann Magier. Diese Gilde spielt
eine besondere Rolle in der Welt des MUDs. Magier dürfen eigene
Räume gestalten und eigene Welten sowie Abenteuer in das MUD
einbringen. So wächst ein MUD ständig, wird immer
größer und unübersichtlicher.
Doch Monster, Geld und Abenteuer bilden nur die eine Seite der
interaktiven Rollenspiele. Multi User Dungeons sind gleichzeitig
Tummelplätze für Chatsüchtige, die nicht im Internet
Relay Chat herumhangen wollen, wenn sich dort gerade niemand zum
Palavern findet. In einem MUD gibt es immer Gesprächsstoff - sei
es die Diskussion um ein Abenteuer oder die gemeinsame Pirsch nach
begehrten Artefakten: Und in der gemütlichen Atmosphäre
eines schaurigen Verlieses plaudert es sich bekantlich besonders
gut.
Bekenntnisse eines Conquer-Süchtigen
Lassen Sie sich nicht von der Überschrift täuschen. Ich bin
nicht süchtig. Ich könnte jederzeit mit Conquer
Aufhören. Angefangen hat es, glaube ich, 1987. Der Begriff
»online« war mir fremd, es faszinierte mich schon, wenn von
irgendwoher ein Zeichen auf dem Bildschirm auftauchte -
zeitgemäß mit einem 300-Baud Akustik-Koppler, Chats waren
der Hit. Und dann kam Conquer, ein Spiel, bei dem man seine Chatpartner
plötzlich zwischen die virtuellen Fäuste bekam. Seither
spiele ich Conquer.
Schlimm ist nicht, daß ich dazu täglich einen Zug machen
muß. Das dauert nur eine Stunde oder etwas länger. Schlimm
ist, wenn der Server abstürzt und ich nicht spielen kann. Noch
schlimmer wenn ich in den Urlaub fahren muß. Oder wenn der Beruf
mich für mehrere Tage in analoge Gefilde entführt, weit
abseits meiner Elfenfreunde. Süchtig bin ich aber nicht.
Kennen Sie Civilization? Es ist gut, und es hat eine (lahme) Grafik.
Conquer ist besser es bietet mehr strategische Elemente (wenn auch
keine Grafik). Und man spielt gegen Menschen, die einen nach dem
Triumph beschimpfen. Gibt es Schöneres? Süchtig bin ich
jedenfalls nicht.
Alfred Poschmann, Journalist, ist seit Jahren nur schwer telefonisch
erreichbar. Er reagiert auf E-Mail unter
fredl@cube.net und wird
demnächst eine eigene Internet-Conquer-Runde starten.
Die Testversion ist zu sehen unter
Conquer-Testrunde.
telnet://cublxl.cube.net:8000
Deutschsprachige MUDs
Avalon:
telnet://avalon.fh-augsburg.de:7777
Avalon Homomepage:
avalon.fh-augsburg.de:7777
Morgengrauen:
telnet://mud.uni-muenster.de
Morgengrauen-Homepage:
http://santana.uni-muenster.de/~mud
Unitopia:
telnet://unitopia.uni-stuttgart.de:3333
Unitopia-Homepage:
http://unitopia.uni-stuttgart.de
Wunderland:
telnet://witla.rz.Uni-leipzig.de:4711
Finalfrontier:
telnet://141.44.22.50:7600
Finalfrontier-Homepage:
http://www-hppool.cd.uni-magdebuerg.de/~mud/index.html
MUD International (die ultimative Liste):
http://www.mudconnect.com
Nethack-Homepages
Mikos Nethack-Homopage:
http://www-personal.engin.umich.edul/~mneylon/nethack
The Nethack-Homepage:
http://www.win.tue.nl/games/roguelike/nethack
3Us Nethack-Homepage:
http://blues.helsinki.fil/~vviitane/nethack.html
Larn-Homepage:
http://www.win.tue.nt:82/games/roguelike/larn
Nethack-Onlinespiele:
Nethack-Telnet-Server:
telnet://nethaec.bitech.com
MUD-Clients
Zmud:
http://www.trail.com/~zugg/zmud.html
Autumnal:
http://mush.foobar.co.uk/autumnal/download.html
Java-Mud-Client:
http://noisey.oise.on.ca/java/telmud/MudClient.html
Cup-0-Mud Java-Client:
http://moo.du.org/java/Cupmud/Cup0mud.docs.html
Mutt: http://www.graph.com
UNItopia (mudadm@UNItopia.de)