UNItopia News: Brett Smalltalk, Gruppe Diskussion, Artikel 1350
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Titel: Re: krieg
Artikel: 1350 Bezug: 1347
Verfasser: Careca Datum: 19.03.03 00:32:03
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Ich hoffe, ich trampele jetzt nicht in deine Fettnaepfe (oder die von
irgendwem) herum.
Deine Trauer sei dir ungenommen. Leben ist lebensgefaehrlich, nur wird das
Thema TOD ja immer wieder recht weit an den Rand verschoben (Modewort:
"Wellness").
Ich frage mich eigentlich, was passieren wuerde, wenn unser herzallerliebster
George Dabbel-Ju, Amerikaner auffordern wuerde, den Irak (oder andere
unopportune Laender) zu besuchen, und sich mit Sprengstoffpaeckchen in Bussen,
Metros und Schnellzuegen in die Luft zu sprengen ... Ja, wir wuerden es
verurteilen als herzlosesten Akt, den man sich ausdenken kann. Nur,
erstaunlicherweise wuerden es einige wenige tun! Die Soldaten, die der G.B.
ausgesandt hat, haben doch nu ihren Zweck verklickert bekommen: Sterben zur
Sicherung der USA! Und ich garantiere dir, es kommt nicht zu Massen-Fluchten
aus dem Soldaten-Sein heraus.
Damit will ich sagen, man kann solche Menschen als Fanatiker deklassifizieren,
aber diese Menschen sind Normalos wie du und ich (... naja, vielleicht eher wie
du als ich *ig* ...). Aber diese Leute treten fuer ihre Ueberzeugung ein. Das
sind keine Feiglinge. Sie sind aeusserst gefaehrlich aber keine Feiglinge, da
sie ihren eigenen Tod in kauf nehmen (unerheblich, ob nun tausend Jungfrauen
auf sie warten werden ... toi, toi, toi, toi ... oder ob sie damit das
Ueberleben einer Idee garantieren wollen.
Es erinnert mich (ich bin dadurch auf einen Arikel in einer zeitung aufmerksam
geworden) an die Leute, die etwas als vollkommen unmoralisch ablehnen (z.B.
Pornographie), waehrend andere dieses in ihr Leben integriert haben (also ein
Leben wie in einem Porno leben) und daran nichts schlimmes oder verwerfliches
finden.
Gut, es geht hier um das LEBEN und die Wertigkeit desselben der ganzen
Menschheit an sich. Aber der Soldat, der sein Leben fuer Ruhm und Ehre aufs
Spiel setzt ist gleich dem Rucksackterroristen, der sich als Maertyer fuer eine
Idee ebenso opfert. Das ist aequivalent (gleichwertig). Das hiesse dann aber
auch, dass beides gleich zu beurteilen sein muesste. Im Vergleich zu einem
Krieger, der sein Leben im direkten Kampf mit seinem Feind opfert, ist
derjenige, der seinen kampf auf Distanz fuehrt als erheblich feige zu
bezeichnen. Wobei fuer mich beides gleich verwerflich ist.
Mein Vater ging ueber Leichen. Ueber Pferdekadaver. Er sah zerschossene Koerper
am Wegesrand. Er sah ebenso Frauen, Kinder und Maenner qualvoll sterben, ohne
dass denen jemand helfen konnte. Und das als zwoelfjaehriger Junge. Zeit seines
Lebens (bis zu seinem Tod) konnte er sich nicht den Film DIE BRUECKE anschauen,
geschweige denn die Schilderungen eines Erich Maria Remarque ertragen. Er
hasste Krieg. Er hatte kein gutes Wort fuer den zweiten Golfkrieg, als
Deutschland gefordert wurde. Mein Vater floh im WK2 vor den russischen
Alliierten nach Westdeutschland.
Jeder hat (von einem bestimmten Historie unterstuetzt) Aversionen gegenueber
bestimmte "unmenschliche" Sterbesituationen. Die Trauer ist grauenhaft. Das
Grauen verschwindet selbst bei geschlossenen Augen nicht, wenn man es
persoenlich erlebt hat. Das Grauen ist unmenschlich (ich sehe noch die Bilder
und Fotos vor mir meine Augen der Leute, die am 1109 gesprungen sind und ich
hoere noch immer das Aufklatschen der Koerper aus jener Video-Dokumentation der
beiden Menschen, die die NYC-Feuerwehr filmend begleitet hatten).
Aber rechtfertigt sowas, woanders aus Distanz millionenfaches Leiden in
Familien hervorzurufen? Klar, millionenfaches Leiden gibt es bislang im Irak.
Aber es gibt jenes auch in anderen Laendern, wo Hunger oder Buergerkrieg
herrschen. Nur, warum wirkt das Argument "Die leiden dort!" nur beim Irak?
Warum nicht auch in der Sahel-Zone oder Nord-Korea? Warum nicht in Brasilien
oder in Afrika? Warum investieren Leute lieber in waffenklrierenden
Aufmaerschen statt das Geld fuer Forschungen gegen den HIV-Virus zu
investieren, der bekanntermassen grosses Leid in Afika hervorruft?
Warum muss der erste Reflex auf Unrecht immer nur das Durchzaehlen der eigenen
Waffenbestaende sein? Warum gilt der Satz "Auge um Auge" mehr als "Liebe deinen
Naechsten" (der hier im Kulturkreis immer wieder gerne als realitaetsfremd
eingeordnet wird)?
Der Countdown am Golf hat nu wirklich nichts mit Israel oder den
Palaestinensern zu tun. Das ist eine rhetorische Verlagerung, wenn eigentliche
Argumente ausgehen. Israel und Palestina ist eine ganz andere Diskussion. Fuer
Bush geht es am Golf nicht um Jerusalem, sondern um die eigene
Staatssicherheit. Das hat mit dem Israel und PalaestinaKonflikt soviel zu tun
wie Aepfel und Birnen (okay kommt gleich das Argument "Aber beide wachsen doch
auf Baeumen und darum geht es doch hier!" ...).
Nu gut, wenn du die Bilder von lachenden Palistinensern ueber 0911 im Fernsehen
gesehen haben solltest, dann vergess aber auch nicht unsere herzallerliebsten
Zecken, unsere Rechtsradikalen. Die haben genauso gejubelt, weil sie Rache fuer
die zerbombten deutschen Staedte sahen. Aber hat Deutschland insgesamt
gejubelt??? Haben die Palaetinenser insgesamt gejubelt??? NEIN! Die sassen
genauso verschreckt vor der Glotze wie ich in einem Birminghamer Buero vor dem
PC, der in seiner Not BILD-Online uebers Internet aufrief (... in der Not
frisst der Teufel Fliegen ...), das VIDEO sah und dachte, er waere in einem
Schwarzenegger-Film. Und alle (auch einige arabische Englaender) dachten nur,
dass waere ein special effect a la Hollywood und waere ganz und gar nicht
Realitaet.
Bedenke immer, die TV-Medien leben von dem bewegten Bild. Einige jubelnde
Deppen, zaehlen da mehr als eine schweigende tiefbetroffene Mehrheit. Bleibt
bei dir die winzige Minderheit in erinnerung, dann koennen sich solche
Boulevard-TVs freuen, weil es immer noch Leute gibt, die deren Schmonzes fuer
die meschugge Wirklichkeit einer extrem-gefilterten Situation abnehmen.
Schitte, zu viel Zeilen in diesem Artikel ...
Careca
"Der Mann, der das erste Steinchen beiseite schuf, wurde nachher als Versetzer
des Berges gelobt.")