UNItopia News: Brett Medien, Gruppe Buecher, Artikel 1117

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Titel: Rezensionen: Mystik-Oeko-Thriller (1. Teil)
Artikel: 1117                                          Bezug: 0
Verfasser: Fergus                                      Datum: 16.08.04 12:38:41
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Hi auch,

da ich im Moment ohnehin zuviel vor dem Rechner sitze (aber was macht man nicht
alles fuer Geld) und deswegen so gut wie nicht fernsehe oder auf sonstige
bewegte Bilder starre, bin ich gerade mal in einem grossangelegten Testversuch.
Den man vielleicht mit "Wieviele Mystery-Oeko-Thriller/Krimis kann man
hintereinander lesen, bevor man aus Ohren und Nase blutet" uebertiteln koennte.

Es ist ja nicht so, dass das Genre generell mies waere, aber der weitaus
groessere Teil der derzeit auf dem Markt erhaeltlichen Titel ist doch eher eine
Mischung aus Robert Ludlum und Heimat-Romanen fr Maenner. 
Schaetzing als positives Beispiel mal ausgenommen. Neben dem "Schwarm" (danke
Sharya. Ich werds lesen, sobald es als Softcover erschienen ist)  sind auch
seine anderen Sachen wie "Keine Angst" durchaus lesbar und lesenswert.

Aber mal zu menem Selbstversuch:
Patrick Dunne kann ich eigentlich empfehlen. 
Ein typischer Blindkauf nach dem ansprechend gestalteten Cover sind beide
Krimis von ihm ("Die Kelten-Nadel" und "Das Maya-Ritual") gar nicht so dumm
geschrieben, halbwegs fundiert recherchiert und aufgebaut und vergleichsweise
wenig klischeebelastet. (ja, okay, die Heldin/der Held ist am Ende gluecklich
verliebt und mindestens einmal gepoppt worden. Aber okay. Kann man verkraften.)
Beide Buecher sind Kriminalfaelle - in einem geht es um nette Morde in England
im Stil von Mankell-Romanen (komplett mit Verschwoerung - glaubt man
zumindest), im anderen um geheimnisvolle todesfaelle auf einer alten
Maya-Kultstaette. Ebenfalls wieder mit dem Anschein von ritualmorden wird da
ein wirklich interessanter Oeko-Thriller draus (die paar Klischees wie die
unnuetze Love-Story oder der obligatorische IRA-Bombenbastler sind nicht so
tragisch).
Die meisten Schwaechen der Buecher kann man vermutlich noch auf die
Uebersetzung schieben - es sind Bastei-Luebbe-romane, die ja bekanntlich immer
maechtig an den Uebersetzern sparen, was teilweise dazu fuehrt, dass sich der
wirkliche Sinn erst erschliesst, wenn man Phrasen selbst ins Englische
zurueckuebersetzt. Aber das ist halt Luebbe. Und dafuer war es erstaunlich gut.

App. Blindkauf aufgrund des Covers:
Wer Dunne gelesen hat und ueber ein drittes und viertes Buch stolpert, die
nahezu dieselben Cover haben: VORSICHT!

Es handelt sich wahrscheinlich um die Knaur-Taschenbuecher von Scott McBain,
"Die Geheimloge" und "Der Judasfluch"!

Argh! Arghaarghargh!
Finger weg! Der spielt eine andere Liga als Patrick Dunne! (Kreisliga. Maximal!
B-Jugend.)
Bei beiden Romanen wird der Mysteryteil ziemlich ueberbetont, ausgewalzt,
breitgetrampelt und fingerdick aufs Brot geschmiert - der Teufel wird uns alle
holen, wenns die Illuminaten nicht tun und retten koennen uns nur Engel,
Heilige Nonnen und sonstige in Astralwanderung und Suendenvergebung bewanderte
Zeitgenossen. Luja, sog i ! 
Einziger (und zwar wirklich EINZIGER!) Lichtblick in beiden Buechern: sie sind
open-end. Das Gute siegt nicht total und fast alle Helden kratzen am Schluss
ab. Und mal ehrlich - man goennt es ihnen von Herzen.
Pfui, bah!

Eine kleine Erholungspause nach Mr. McBain, um das Nasenbluten zu stoppen:
"Palmer Land" von Richard Hayer.

Ich wuerde Palmer Land etwa im oberen Qualitaets-Drittel dieser Sparte von
Romanen ansiedeln. Palmer land spielt mit der alten Theorie von einer uralten
Hochzivilisation in der Antarktis (eben auf dem aeussersten Zipfel, dem "Palmer
Land"), deren Verbindung zu den aegyptischen Pyramiden und der Vorraussage
einer kommenden Eiszeit und gleichzeitig einer hightech-spionage-Geschichte a
la James Bond mit einem gestohlenen prototyp-miniatomkraftwerk und einem
reichlich durchgeknalllten, russischen ex-Militaer und seinem traum von einer
besseren Welt.
Die Mischung aus Agenten-Hightechthriller und Mastik-Oeko.Thriller ist
allerdings durchaus gelungen, wissenschaftlich nicht voellig hahnebuechen und
gut recherchiert (und damit im grossen und ganzen voll im Rahmen der
Moeglichkeiten). die charaktere sind durchaus brauchbar und das ganze Ding (wie
ueblich so um die 600 Taschenbuchseiten) kann man schoen an einem Rutsch
durchlesen. Spannend bis zur letzten Minute ist er allemal und man muss sich
nicht aufregen. Nicht ganz so gut wie Schaetzing oder Preston/Child aber man
kann ihn durchaus empfehlen.

App. Preston/Child:
Jetzt zu zwei Autoren, die stets als Team schreiben und die mindestens so
fundiert und spannend wie Frank Schaetzing schreiben. Von ihnen ist die Vorlage
zum (maessig umgesetzten) Horror-Thriller "Das Relikt" (von dem es als Buch
auch einen spannenden 2. Teil gibt, der in den ca. 10.000 Streckenkilometern
Tunnelsystem unter Manhattan spielt. Sehr empfehlenswert: "Attic")
Die Rede ist von Douglas Preston und Lincoln Child.

Mr. Preston und Mr. Child schreiben fundiert, extrem gut recherchiert, ohne
Pannen oder Logikluecken, aeusserst spannend und, obwohl mystisch angehaucht,
am Ende doch wissenschaftlich logisch erklaerbar. Ihre Charaktere sind durchaus
lebensecht und verhalten sich realistisch. Was nicht heisst, dass sie nicht
auch schreiend daemlich sein koennen oder in Klischees verfallen. Aber das tun
wir ja alle ab und an. Aber wenigstens ist das sichtlich volle Absicht der
autoren und nicht Unfaehigkeit oder unfreiwillig schwachsinnig. Und- sehr
positiv - Klischees (werd ich nachher nochmal an einem anderne Beispiel
auffuehren) und unnoetige, daemliche Beziehungskisten zwischen Personen, die
sich gerade mal 18 Stunden (oder 10 Filmminuten) kennen, werden vermieden. In
drei Buechern keine einzige Bettszene! Rekordverdaechtig!
Margo Green aus dem Zweiteiler Relikt/Attic ("Relic" und "Reliqary" auf
englisch) ist zwar eine nicht ganz so sympatische Hauptfigur, aber dafuer sind
der Bulle, Lieutenant D'Agosta und besonders der ueberkandidelte
Vollprofi-FBI-Special-Agent Pendergast ein absoluter Genuss! Pendergast ist
einfach cool as cool can! Der ging im Film komplett unter. Voellig fehlbesetzt.

Aber es mag sein, dass die Qualitaet der Buecher daran liegt, dass Mr. Preston
als wissenschaftlicher Mitarbeiter am naturhistorischen Museum von N.Y. vor dem
ersten Roman erstmal mehrere wissenschaftliche Sachbuecher geschrieben hat und
sein Partner, Mr. Child vor seiner Autorentaetigkeit langjaehrig Verlagslektor
gewesen ist. Da haben sich halt einer mit echtem Fachwissen und einer mit
fundierter Schriftstellerausbildung getroffen. Das merkt man erfreulicherweise
auch sehr deutlich.

Meiner Meinung nach unbedingt empfehlenswert. 
Ich werde diese Woche mit "Formula" von Preston/Child anfangen, dem dritten
Band, in dem der coole Agent Pendergast und der daemliche
Regenbogenpresse-Schreiberling Smithback vorkommen.

Zum Schluss diese Teils der "Empfehlungen" noch ein letztes Buch:
David Morrell, z.B. "Der Mann mit den 100 Namen" (ein zugegebenermassen
daemlicher deutscher Titel. Der englische "Asumed Identity" macht doch gleich
viel mehr Lust aufs Lesen.) - Unser Titelheld, ein leicht schizoider
Spezialagent einer geheimen Spezialeinheit der geheimen amerikanischen
Geheimdienste, nimmt geheime Geheimauftraege an und hat dabei mehr Identitaeten
als  Carry aus "Sex in the City" Schuhe im Schrank. Bloed wirds erst, als ihn
eine fruehere Kontaktperson aus einer anderen Indentitaet bei einem Auftrag in
Mexico begegnet. Von da an geht alles den Bach runter. Die Presse will ihn
auffliegen lassen und mehrere Gruppen von Leuten (unter anderem seine eigenen)
wollen ihn beseitigen. Und seine Rollen geraten immer mehr durcheinander. Ein
Alptraum fuer Rollenspieler. *gg*
"Schwur des Feuers" von Morell ist da nicht ganz so gut - Eine boese
Geheimsekte auf dem obligatorischen Weg zur Weltherrschaft und nur eine Frau
und ein Mann koennen sie aufhalten. UND dazu mischt sich die ewig gestrige
Inquisition natuerlich wieder ein.

Immherhin kommen in Morells Romanen immer eine Menge Leute sehr kreativ und vor
allem im Rahmen der Handlung logisch ums Leben und seine Figuren benehmen sich
vor allem in Stress-Situationen nachvollziehbar und logisch. In dem Bereich ist
man aus diesen Romanen ja eine ganze Menge hahnebuechenen Unsinn gewohnt.
Einzig an manchen Ecken bemerkt man das Schoepfen aus dem Klischee-Topf (Was
soll die bloede Sexszene? Da hat vermutlich der Agent von Morell noch gesagt:
"Mach mal noch ne Szene  da wo sie poppen tun. Das interessiert die Leute." -
Das Ergebnis ist reichlich unmotiviert, unbeholfen und fuer die Story so
unnoetig wie ne Warze am Hintern.
Und natuerlich ist Herr Morell Amerikaner und als solcher erstens patriotisch
(unsere Leute sind die besten!) und zweitens ziemlich ungebildet, was "terra
incognita", sprich: die ganze Welt ausserhalb von Amerika, angeht: so ist laut
ihm um das Jahr 1998 der Rhein in Deutschland eine tote Kloake (Deutschland
besteht ohnehin aus den besten Hightech-firmen der Welt. Wann immer man einen
neuen, zuverlaessigen Waffen-Prototyp bruacht ist er aus Deutschland! - und
hinterwaeldlerischen Schwarzwaldbauern des 17. Jahrhunderts) - und der Smog in
Europa ist schlimmer als der ueber L.A. - weil in Europa noch mit verbleitem
Benzin und ohne Katalysatoren gefahren wird, im Gegensatz zu den
umwelttechnisch weit fortgeschrittenen USA.  
Und religioes und moralisierend ist er auch etwas seltsam drauf: von
"abartigsten Sexualpraktiken wie Cunnilingus und Fellatio" bis hin zu
"widerlicher, scheusslicher, abstossender, monstroeser Goetzenbilder" (halt ein
altes Relief, auf dem halt ein Stier rituell geschlachtet wird... HAEH?!) habe
nseine Figuren teilweise ein sehr seltsames Weltbild. 
Aber man kanns lesen, Sonntag nachmittag auf dem Balkon.

So, das war der erste Teil.
Klingt insgesamt teilweise schon schoen grausig?
Wartet es ab, ich hab euch geschont!

Gruss, F.

So.

Bereit fuer die Hardcore-Nummer?